Der Neorealismus (Theorie der Internationalen Beziehungen)

Fach Fach

Klasse 12

Autor lisaurus

Veröffentlicht am 24.06.2018

Schlagwörter

Neorealismus Internationale Beziehungen Politikwissenschaft Theorie Realismus

Zusammenfassung

Dieses Referat behandelt eine einflussreiche politikwissenschaftliche Theorie der Internationalen Beziehungen: den Neorealismus. Folgende Fragen werden geklärt: Was unterscheidet den NR vom klassischen Realismus? Was sind die zentralen Annahmen des NR? Welche Kritik gibt es am NR und wie reagiert der NR darauf?

Neorealismus

Allgemeines

  • einflussreiche politikwissenschaftliche Theorie der Internationalen Beziehungen
  • Entstand als Gegenpol zum Idealismus nach dem 2. Weltkrieg im Kontext des Ost-West-Konflikts
  • Zentrale Fragen:
    • Was verursacht Krieg zwischen Staaten?
    • Was sind die Voraussetzungen für Frieden bzw. Kooperation?

Was unterscheidet den Neorealismus vom klassischen Realismus?

Klassischer Realismus

  • Vertreter: Hans Morgenthau
  • Entstehung: 1948
  • Ursache von Konflikt/Krieg: Machtstreben in der Natur des Menschen
  • Unterschiede zwischen Staaten: Differenzierung
  • Beziehung zwischen Staat und System: Staat ist System überlegen
  • Wertung des internationales Systems: subjektiv

Neorealismus

  • Vertreter: Kenneth Waltz
  • Entstehung: 1979
  • Ursache von Konflikt/Krieg: Anarchische Struktur des internationalen Systems
  • Unterschiede zwischen Staaten: Einheitliche Akteure
  • Beziehung zwischen Staat und System: System ist dem Staat überlegen
  • Wertung des internationales Systems: wissenschaftlich

Was sind die zentralen Annahmen des NR?

  • Zentrale Akteure der internationalen Politik sind Staaten
    → Internationale Institutionen spielen nur eine Nebenrolle, ihr Handeln wird durch Entscheidungen und Macht der Staaten bestimmt
  • Strukturmerkmal des internationalen Systems ist die Anarchie
    → Abwesenheit einer durchsetzungsfähigen Zentralinstanz, bei der man seine Rechte einklagen kann

Auswirkungen der Anarchie

  • Staaten wissen, dass andere Staaten ihre Versprechen brechen oder sogar Gewalt auf sie ausüben können
    → Ständige Gefahr eines Krieges im Hintergrund der internationalen Politik

  • Staaten handeln nach dem Prinzip der Selbsthilfe
    → Prägt ihre Ziele und Mittel, um diese zu erreichen

Eigenschaften der Staaten

Staaten handeln …

  • Rational: Haben klare Präferenzordnung, orientieren sich an ihren Interessen im internationalen System
  • Autonom: Verfolgen Präferenzen der ganzen Gesellschaft, sind fähig diese umzusetzen
  • Einheitlich: Sprechen mit einer Stimme
    → Folge: Alle Staaten sind strukturell gleich, sie unterscheiden sich nur durch ihre Machtposition im internationalen System

Interessen der Staaten

  • Hauptinteresse: Sicherheit
    • Staaten als verteidigende Akteure
    • Sichern des eigenen Überlebens
  • Sicherung ihrer relativen Machtposition
    • Staaten als „defensive positionalists“
    • Streben nach maximalem „Machtabstand“
  • Unabhängigkeit und Autonomie
    • Streben nach Funktionen, die ihre Sicherheit/Machtposition fördern (Diplomatie, Informationssammlung, Militär)

Erwartungen an das Verhalten von Staaten

  • Balancing
    = Versuch des Ausgleichs bei Machtanstieg eines anderen Staats, Verhinderung der Vormachtstellung eines Staats
    • Angleich nationaler Kapazitäten
    • Mit anderen Staaten Allianzen eingehen, um sich gegen aufstrebenden Staat zu verbünden
  • Bandwagoning
    = Allianz mit dominantem Staat eingehen, stärkerer Seite beitreten
    • Empirisch häufiger belegt, v.a. bei kleinen Mächten beobachtbar

Polarität des internationalen Systems

  • Multipolare Systeme sind instabiler als bipolare und können zu ungewolltem Krieg führen
    • Chain-ganging: Verbündete werden von leichtsinnigem Partner hineingezogen, Bsp: 1.Weltkrieg
    • Buck-passing: Jeder hofft, dass sich der andere gegen aufstrebende Macht auflehnt → keiner handelt, bis es zu spät ist, Beispiel: 2. Weltkrieg

Welche Chancen räumen Vertreter des NR zwischenstaatlicher Kooperation ein?

  • Vertrauensproblem
    • Keine Zentralautorität, die Einhaltung von Kooperationsvereinbarungen überwacht
    • Versuchung, zu betrügen und Angst, betrogen zu werden
  • Abhängigkeitsproblem
    • Kooperation führt zu Interdependenz
  • Verteilungsproblem
    • „Who will gain more?“
    • Staaten als Neider, wollen relative Kooperationsgewinne anderer verhindern
  • These der hegemonialen Stabilität: Vormachtstellung eines Staats sei Bedingung für liberalen internationalen Markt

Kritik:

1. Issue of International Change

  • Der Neorealismus kann Veränderungen im internationalen System nicht erklären
  • Warum endete der kalte Krieg?
  • Vernachlässigung innenpolitischer (Norm-)Veränderungen

Neorealistische Antwort:

  • Kontinuität wichtiger als Veränderung
  • „die fundamentale Natur internationaler Politik hat sich über die Jahrtausende nicht verändert“
  • Verhalten der Staaten zeigt Regelmäßigkeit auf

2. Issue of Unit-Level Variables

  • Vernachlässigung innenpolitischer Faktoren (politische, wirtschaftliche und soziale) in Bezug auf das außenpolitische Verhalten von Staaten

Neorealistische Antwort:

  • Innenpolitische Faktoren haben keinen Einfluss auf das außenpolitische Verhalten von Staaten
  • Kernwaffen mildern die Gefahr eines Kriegsausbruch, verleihen den Staaten Macht und somit Sicherheit

3. The Continuing Puzzle of International Institutions

  • Der NR lässt Salienz der internationalen Institutionen unberücksichtigt → Aber: Vor allem nach dem 2. WK investierten Staaten viel Zeit und Mittel in deren Gründung
  • Das große Interesse Europas an der Investierung in die EU widerspricht dem NR
  • Laut dem NR sind Staaten aufgrund der Gefahren der Anarchie abgeneigt, den internationalen Institutionen Bedeutung zuzuweisen oder ihnen zu erlauben, ihre Handlungsfähigkeit einzuschränken
  • EU macht aber genau dies! → Geltung des EU-Rechts vor nationalem Recht

Antwort und Erklärungsansätze

  • Kooperation in der EU als balancing gegen externe Gegner (Japan)
    → Problem: Warum kommt D dann eine Hegemonialstellung zu? Der NR würde balancing gegen D erwarten, jedoch scheint die EU sogar bandwagoning hin zu D zu sein
  • Vorherrschaft des stärksten Partners in balancing-Koalition soll durch Regeln innerhalb der Institution eingedämmt werden, so dass den schwächeren Mitgliedern „voice opportunities“ zukommen
    → erklärt Entstehung der Montanunion
  • Wie aber lässt sich das Verhalten Deutschlands erklären?
    • Wirtschaftliche Vorteile der europäischen Integration
    • Nach dem Weltkrieg: Wiedereintritt ins Weltgeschehen

4. The Problem of Security vs. Power Maximation

  • Der NR betrachtet die Welt aus der Sicht eines zufriedenen Status-Quo-Staats
  • Manche Staaten wollen ihre Machtposition aber nicht nur beibehalten, sondern vorantreiben → „offensive positionalists“
  • Diese Machtmaximierungsthese stützt sich auf neorealistische Annahme, dass staatliches Handeln aufs Überleben abzielt
  • Frage: Streben Staat um ihrer selbst willen nach Machtmaximierung oder nur um ihre Sicherheit damit zu maximieren?

WENN Staaten Macht mehr schätzen als Sicherheit, würde man erwarten, dass sie eher zu bandwagoning tendieren als zu balancing
DANN müsste es öfter zu einer Welthegemonie kommen
ABER Realisten argumentieren, dass balancing erklärt warum das Staatensystem eine Vielzahl an unabhängigen Staaten aufweist
AUSSERDEM müssten Realisten ihre Erklärung der Probleme internationaler Kooperation ändern
DENN das würde heißen, dass Staaten Machtabstände zu ihrem Nachteil nicht vermeiden wollen, sondern Machtabstände zu ihrem Vorteil maximieren wollen
D.H. cheating wäre für Staaten noch attraktiver und Angst davor noch größer
UND aggressivere Interessen in Bezug auf die Verteilung der Kooperationsgewinne
SOMIT wäre Kooperation unmöglich zu erreichen, Neorealisten müssten erklären, warum es überhaupt zwischenstaatliche Kooperation gibt

→ Die Frage nach Sicherheits- oder Machtmaximierung ist für den NR sehr wichtig

Neorealistische Antwort

  • Machtmaximierung als primäres außenpolitisches Ziel
  • Staaten sind aufgrund einer fehlenden durchsetzungsfähigen Zentralinstanz im internationalen System dazu gezwungen, ihre Machtstellung zu verbessern

Herzs Sicherheitsdilemma

  • In einer anarchischen Gesellschaft sind Individuen stets im ihre Sicherheit besorgt

Staaten müssen immer mehr Macht ansammeln, um Auswirkungen der Macht anderer zu entkommen >>> Veranlasst andere wiederum, sich unsicher zu fühlen und sich aufs Schlimmste vorzubereiten
→ Teufelskreis

Schlussfolgerung

  • Gut ausgebaute Perspektive auf die Weltpolitik
  • Erklärungskraft:
    • Kontinuitäten der Weltpolitik
    • Entstehung des Nationalstaats
    • Auf- und Abstieg von Großmächten
    • Schwankung von Konflikt und Kooperation in der Geschichte
  • Jedoch gibt es viele ungelöste Probleme
    • Sind Staaten Sicherheits- oder Machtmaximierer?
    • Macht das einen Unterschied in Bezug auf das außenpolitische Verhalten von Staaten?
    • „Empirisches Puzzle“ in Bezug auf Balancing und Internationale Institutionen
Quellenangaben
<ul> <li>Grieco, Jospeh M. (1997): Realist International Theory and the Study of World Politics, in: Michael W. Doyle und G. John Ikenberry (Hg.): New Thinking in International Relations Theory. Boulder, Colorado: Westview, S. 163-201</li> <li><a rel="nofollow" href="http://www.e-ir.info/2009/07/23/comparing-and-contrasting-classical-realism-and-neo-realism/">http://www.e-ir.info/2009/07/23/comparing-and-contrasting-classical-realism-and-neo-realism/</a></li> </ul>